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Clemens Kopecky
Autor: Mag. (FH) Clemens Kopecky
clemens.kopecky@motorrad-magazin.at
9.4.2024

E-Motorrad auf TourEin Selbstversuch

„Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist in der Praxis weit größer als in der Theorie“, lautet eine langjährig verifizierte Lebensweisheit, die sich aktuell ganz besonders in einem Punkt des Zweirad-Universums manifestiert: der Reichweite von Elektro-Motorrädern.

Ende des vergangenen Jahres folgte ich als Vertreter der Motorradmagazin-Redaktion der Einladung zur Weltpremiere einer neuen, strombetriebenen Zero-Reiseenduro nach Italien. Siebzig Kilometer lang zuckelte die Journalisten-Reisegruppe brav hinter dem temporeduzierenden Zero-Tourguide her und spulte rund um den sizilianischen Vulkan Ätna auf fabriksneuen DSR/X-Modellen eine wohl akribisch vorgeplante Route ab. Mit satter Restreichweite am TFT-Display wurden dann die jeweils 102 PS starken E-Fahrzeuge am Hotelparkplatz zurückgelassen und die versammelten Journalisten von den Zero-Vertretern mit der Beteuerung heimgeschickt, der amerikanische Hersteller habe bei intensiven Offroad-Testfahrten sogar bis zu 320 Kilometer Strecke aus einer Ladung des Akkus mit maximal 17,3 Kilowattstunden (Nennleistung 15,2 kWh) herauskitzeln können. Eine Behauptung, die mir schon damals äußerst unwahrscheinlich erschien – weshalb ich in meinem Fahrbericht (MM-Ausgabe 8/22) einen baldigen Test in heimischen Gefilden ankündigte. 

Die perfekte Gelegenheit ergab sich im August, als mein Telefon klingelte. „Kannst Du gemeinsam mit mir nächste Woche eine Weekend-Runde durch das Nord-Burgenland fotografieren fahren? Ich bräuchte dich als Foto-Model und habe unsere Suzuki V-Strom 1050DE aus dem Dauertest-Fuhrpark ausgefasst. Du müsstest Dir halt ein passendes Motorrad organsieren“, flötete MM-Reiseredakteur Alexander Seger in die Leitung. Eine Mission, aus drei Gründen wie geschaffen für einen Praxis-Test mit der 26.775 Euro teuren Zero DSX/R.

Erstens: Wegen des topografischen Mangels an strapaziösen Bergstrecken rund um den Seewinkel sollte der Akku nicht übermäßig beansprucht werden. Zweitens: Die Infrastruktur an Ladesäulen ist im Osten Österreichs deutlich weiter entwickelt als im Alpenvorland. Drittens: Mein Freund Alex ist zwar sowohl grandioser Fotograf als auch erfahrener Globetrotter mit unglaublichen „Iron Butt“ Nehmerqualitäten, den Gasgriff lässt er jedoch höchstens in homöopathischen Dosen rotieren. (Klartext: Er fährt ziemlich langsam.)

In Windeseile schaffte ich von den 2Radhelden in Wien eine Zero DSR/X mit insgesamt 7500 gefahrenen Kilometern herbei. Mit satten 110 Prozent Akkustand und akzeptablen 210 Kilometern auf der Reichweitenanzeige fand ich mich früh Morgens am vereinbarten Treffpunkt in Mödling ein. Zur Erklärung: Im Untermenü der Zero lassen sich für besonders lange Touren zehn „Extra-Prozent“ aktivieren – im Normalfall lädt eine DSR/X also tatsächlich stets nur „echte“ 90 Prozent, um die Lebensdauer des Akkus nicht durch permanente Voll-Ladungen negativ zu beeinflussen.

Weil eine Tour mit diversen Fotostopps erfahrungsgemäß ziemlich lange dauern kann und diesmal auch ein Ladestopp für die Zero eingeplant werden muss, führt die 67 Kilometer lange Anfahrt zum Grenzort Klingenbach großteils über die Autobahn A3, natürlich stets im legalen (und energiesparenden) Tempobereich zwischen 120 und 130 Stundenkilometern. Schon während der gemütlichen Fahrt schmilzt die Restreichweite im „Street“ Fahrmodus unaufhaltsam dahin wie ein Eisbecher in der Mittagshitze. Beim Eintreffen am ersten Fotopunkt der erste Schock: bei nun 55 Prozent Akku sind noch weitere 86 Kilometer möglich, bis die Zero am Straßenrand saftlos ausrollt. Ernüchterung macht sich breit: Es wird an diesem Tag garantiert nicht bei einem einzigen, geplanten „Tankstopp“ bleiben.

Wir folgen der hügeligen Route (die ganze Story zum Nachfahren bald im MM) durch das Rosaliengebirge entlang der niederösterreichisch-burgenländischen Landesgrenze  bis ich das permanente Schielen auf die schnell schwindende Ladeanzeige nervlich nicht mehr durchhalte. Als das letzte Energie-Viertel anbricht und die Reichweite unter 50 Kilometer sinkt, verordne ich in Schwarzenbach auf einem ruhigen Parkplatz hinter dem Gemeindeamt eine Zwangspause an einer EVN-Stromtankstelle mit 11-kW-Ladesäule.

Die Aktivierung per ÖAMTC ePower-App klappt auf Anhieb, der Strom fließt – zum Mäusemelken langsam! Denn das DSR/X-Testfahrzeug ist ausschließlich mit dem serienmäßigen 6,6-kW-Ladegerät ausgestattet – will man mit optionalem Rapid-Charger und somit insgesamt 12,6 kW Maximaltempo laden, schlägt das gegebenenfalls mit 3000 Euro Aufpreis zu Buche (und ist übrigens gleichzeitig nicht mit der wahlweise um 3.550 Euro optional erhältlichen Akku-Erweiterung auf 20,9 kWh kompatibel!). 

Nach 121 gefahrenen Kilometern steht also um exakt 10:08 im Dorfgasthaus die vorgezogene Mittagspause an der Tagesordnung – so früh setzen sich nicht einmal meine Großeltern an den Esstisch. Als wir das riesige Schnitzel mit Kartoffelsalat bezwungen haben, strömen aus der Kirche vis-a-vis gerade die Dorfbewohner nach der Sonntagsmesse – in Gesellschaft schmecken  Apfelstrudel und Kaffee gleich noch besser. Um 11:39, also exakt 91 Minuten nach unserer Ankunft wurden derweil laut Abrechnung 8,25 kWh um sündteure 10,80 Euro in den Akku gepumpt. Trotzdem prognostiziert das Zero-Cockpit bei aktuell 86 Prozent Ladestand nun weitere 44 Minuten Wartezeit. Pfeif drauf, wir haben einfach keinen Hunger mehr und müssen endlich weiter!

Auf unserer Route durch die pannonische Tiefebene wird Alex seinem Ruf als Genuss-Motorradfahrer wie gewohnt gerecht: Auf der Suche nach geeigneten Fotomotiven am Wegesrand überschreiten wir selbst auf langen Geraden die Tempo-90-Marke am Tacho so gut wie nie. Dennoch verzögere ich bei Bedarf per Motorbremse samt stromgewinnender Rekuperation, statt schnöde per Betriebsbremse wertvolle Energie in den Bremsscheiben zu verheizen. Dank ungewohnt besonnener Fahrweise hole ich nun weitere 151 Kilometer aus gesamt 77 Prozent Batteriefüllung, bis mich bei 16 Kilometern Restreichweite (9 Prozent) erneut der Mut zum Risiko verlässt. Um 15:20 docke ich am Strandparkplatz in Podersdorf am Neusiedlersee erneut am Ladekabel an, während Panamericana-Absolvent und Langstrecken-Experte Alex genervt die Augen verdreht.

Illustrations-Bildmaterial für die Weekend-Reportage sind am Leuchtturm schnell geknipst, weshalb zum Zeitvertrieb ein ausgiebiger Spaziergang folgt. Bei wohligen 36 Grad Außentemperatur sind wir zwischen unzähligen Urlaubern in Badehose oder Bikini selbstverständlich die einzigen in wärmender Motorrad-Montur. Zur Abkühlung gönnen wir uns in einem Café jeder ein großes Getränk plus Eisbecher. Als wir uns an das gähnend langsame Aufladen der Zero-Batterie erinnern, bestellen wir sicherheitshalber noch Eis-Palatschinken.

Den akuten Gefahren für unseren Blutzuckerspiegel trotzend, verschaffen wir der Zero im Schatten eines Sonnenschirms so möglichst viel Ladezeit. Nach insgesamt einer Stunde und 36 Minuten setze ich mit 8,3 Kilowattstunden mehr im „Tank“ und 73 Prozent Batteriestatus (51 Minuten zu früh für „voll“, Restreichweite nun 123 Kilometer) die Fahrt fort – skurriler Weise sollte später übrigens für diesen Ladevorgang weniger als halb so viel verrechnet werden als ein paar Stunden zuvor in Schwarzenbach.

Mein Resümee zu einer Elektromotorrad-Tour fällt derzeit – wohl wenig überraschend – durchwachsen aus. Von Sonnenauf- bis -untergang konnte ich wegen der permanenten Reichweiten-Nervosität die insgesamt gefahrenen 405 Tageskilometer kaum genießen. Ein großer Teil des schönen Sommertages wurde in Gasthäusern totgeschlagen – das mag Gourmets, Gourmands und vor allem die Gastronomie freuen, waschechte Motorradfahrer fühlen sich dadurch eher ihrer Freiheit, Freizeit und schlanken Figur beraubt.

Positiv bleibt anzuerkennen, dass die Zero DSR/X wegen der seidigen Kultiviertheit des Antriebs, des effizienten Windschutzes und der herrlich komfortablen Ergonomie prinzipiell eine grandiose Reiseenduro wäre, auf der sich schmerzfrei hunderte Kilometer am Stück abspulen ließen – wäre da nicht das unübersehbare Problem mit Ladegeschwindigkeit und Reichweite. Denn es nutzt auch der herrlich bequeme Sattel nichts, wenn man während einer Tour ohnehin mehr auf Bar-Hockern oder Heurigenbänken sitzt.

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